Donnerstag, 3. Mai 2012

GULAG. Spuren und Zeugnisse 1929-1956. Eröffnung der Ausstellung in Neuhardenberg



Kein Geringerer als Jorge Semprún war es nach den Worten von Bernd Kauffmann (Schloss Neuhardenberg), der die Zweifel daran zerstreute, ob Deutschland der geeignete Ort für eine dem GULAG gewidmete Ausstellung sein könnte. Ist doch Deutschland als einziges Land, das sowohl die nationalsozialistische als auch die kommunistische Diktatur erfahren hat, dazu in besonderem Maß berufen. Semprún wollte hier weniger von Pflicht sprechen als von einer „Erinnerungsobliegenheit“, wenn dies auch im Deutschen ein seltsames Wort sei. Jorge Semprún wurde Schirmherr der Ausstellung, deren Eröffnung zu erleben ihm leider versagt blieb. Er ist ein berufener Kronzeuge dafür, dass es hier nicht darum geht, zu „relativieren und zu analogisieren“ (Volkhard Knigge, Gedenkstätte Buchenwald). Es gehe darum, die Spezifik der jeweiligen Verbrechen erkennbar und begreifbar zu machen. Die Ausstellung soll „Türen öffnen“ – dies zunächst auch in einem ganz wörtlichen Sinn. Knigge beschrieb in seiner Einführung plastisch die beengten Verhältnisse, die er bei seinen Besuchen bei MEMORIAL in Moskau vorgefunden hatte, die Schränke, in denen dort Exponate aufbewahrt sind, dafür bestimmt, endlich auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu werden.

Vom GULAG ist wenig verblieben, was sich authentisch darstellen lässt, wie Irina Scherbakova von MEMORIAL betonte. Zu den Anliegen von MEMORIAL gehörte die Zusammenstellung von Totenbüchern – um die Namen dem Vergessen zu entreißen – ebenso, wie die Erinnerung darzustellen an das, was diese Menschen – die GULAG-Häftlinge – durchlebt hatten, also Gegenstände zu zeigen, die für sie mit dem GULAG zusammenhängen - etwa ein Kleid, das eine Frau bei der Verhaftung getragen hatte, Schüsseln, Löffel, Wattejacken, Handschuhe – Dinge, von denen im GULAG das Überleben abhängen konnte. Solche Gegenstände wurden in den Familien aufbewahrt, lange ohne eine Hoffnung und den Gedanken daran, dass das je ein museales Exponat werden könnte. Die Erinnerung wurde wesentlich in Texten kolportiert, aber die Texte könnten nicht vollständig wiedergeben, was die Menschen erlebt hatten. Schon Schalamov hatte konstatiert, dass das Gedächtnis einfach nicht ausreicht.

Nicolas Werth (Institut du temps présent, Paris) betonte, der GULAG sei räumlich und zeitlich schwer einzugrenzen. Beginn und Ende lassen sich so genau nicht festlegen, und er habe das ganze Leben durchdrungen, „gulagisiert“. Solzhenizyn habe den Ausdruck des „perpetuum mobile“ geprägt, um auszudrücken, dass sich der GULAG in ständiger Bewegung befand (bestehende Lager wurden in schneller Folge eingerichtet und wieder aufgelöst oder verlegt, während wieder neue geschaffen wurden). Eine spezifische Bevölkerungsgruppe sei entstanden – ein Volk der Seki (Häftlinge). „Le peuple des zeks“ hieß denn auch die GULAG-Ausstellung, die Memorial vor einigen Jahren in Genf gezeigt hatte. Gedenkstätten gibt es nur wenige, Werth nannte die Hinrichtungsstätte in Butovo in der Nähe von Moskau, das in einem Privathaus eingerichtete Museum von Ivan Panikarov in Jagodnoe bei Magadan (vgl.http://pdf.zeit.de/2011/46/Russland-Gulag.pdf) und das Projekt eines Virtuellen GULAG-Museumsvom Wissenschaftlichen Informationszentrum MEMORIAL St.Petersburg.

Arsenij Roginskij (Vorsitzender von MEMORIAL International), hier zugleich Zeitzeuge und Historiker, vermittelt eine lebendige Bestätigung dafür, wie sehr der GULAG das Leben und den Alltag der Menschen durchdrang. Gefangenenbrigaden kamen ihm auf dem täglichen Schulweg entgegen, sie wurden zur Arbeit auf einer Baustelle geführt, auf der auch sein Vater vor seiner Verhaftung gearbeitet hatte. Bei der Hälfte seiner Mitschüler saß zumindest ein Elternteil im GULAG. „Wir können nicht sagen, wir hätten nichts gewusst. Wir wussten, was bei uns vor sich ging.“ In den 80er Jahren war Roginskij in einem Lager im Norden inhaftiert. Statt einer Baracke hatte man zweistöckige Gebäude errichtet – aber alles andere, und vor allem die Rechtlosigkeit der Gefangenen, war unverändert geblieben.
Roginskij ist kein Freund von Pathos. Er nahm mit Erleichterung zur Kenntnis, dass die Ausstellung seinem Empfinden entgegenkommt und ihren Gegenstand nüchtern, mit „anteilnehmender Lakonie“ behandelt. Was gezeigt und berichtet wird – dazu gehören auch 19 vorgestellte Häftlingsbiographien – spricht für sich.

Zur Ausstellung ist ein Katalog mit ergänzenden Materialien erschienen, u. a. mit einem sehr informativen historischen Abriss über den GULAG von Nicolas Werth.
 Die Ausstellung wird bis zum 24. Juni in Neuhardenberg gezeigt, vom 19. August bis 24. Oktober in Weimar (Schiller-Museum). Weitere Orte sind im Gespräch, darunter Berlin, Köln und München.
Informationen zur Ausstellung und Berichte finden Sie hier: www.ausstellung-gulag.orghttp://www.taz.de/Ausstellung-Sowjetische-Arbeitslager/!92510/http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/gulag-ausstellung-zwanzig-millionen-arbeitssklaven-11736275.html.