Montag, 23. April 2012

Interview mit Masha Karp: Irina Flige berichtet über eines der Projekte, für das sie die Auszeichnung von "Index on Censurship" erhielt, das „virtuelle GULAG-Museum“:[1]


Gegen Ende der Sowjetzeit bestand verbreiteter Konsens, dass eine wesentliche Umgestaltung des Landes auf die Dauer nicht möglich sei ohne eine gründliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – d. h. auch nicht ohne fundierte Kenntnis der Geschichte des Terrors und des GULAG. Dieser Konsens war jedoch nicht von Dauer. Irina Flige berichtet, dass dieses Thema schon im Laufe der 90er Jahre zunehmend an den Rand gerückt wurde. Es gab indes zahlreiche Initiativen, die auf lokaler Ebene Gedenkzeichen und Mahnmale errichteten und Museen einrichteten, ohne jegliche Förderung von Seiten der Regierung, allerdings mitunter mit Unterstützung regionaler Behörden.

Sonntag, 15. April 2012


Auszeichnung von Index on Censorship für das Wissenschaftliche Informationszentrum / MEMORIAL Petersburg (NIC)


Am 28. März fand in London die Preisverleihung statt. Nachfolgend Auszüge aus Irina Fliges Redebeitrag:

„Ich freue mich über die Möglichkeit, mich bei der Zeitschrift 'Index on Censorship' und allen unseren anwesenden Freunden für die hohe Auszeichnung zu bedanken, die dem Petersburger Archiv von MEMORIAL in diesem Jahr, einem Jubiläumsjahr für die Zeitschrift, verliehen wurde.
Ich danke Ihnen im Namen des Petersburger Wissenschaftlichen Informationszentrums „Memorial“, das dieses Archiv gegründet hat und es fortlaufend ergänzt, und dies schon seit mehr als 20 Jahren. Ich danken Ihnen im Namen aller MEMORIAL-Verbände in Russland und im Ausland, ebenso im Namen aller russischen Forscher, Publizisten, Pädagogen und Museumsmitarbeiter, die sich mit der tragischen sowjetischen Vergangenheit befassen und dabei mit Problemen und Hindernissen konfrontiert werden, wie sie ihre Kollegen in anderen Ländern nicht kennen.
Die gesamte Tätigkeit der Archive von Memorial hat zum Ziel, die Zeugnisse der Vergangenheit einem möglichst breiten Personenkreis zugänglich zu machen, damit die Geschichte des staatlichen Terrors in der Sowjetzeit – eine der bedeutendsten Tragödien des 20. Jahrhunderts – dokumentiert werden kann. Die Bevölkerung Russlands sowie der anderen Länder der ehemaligen Sowjetunion, ja die gesamte Menschheit muss die Möglichkeit haben, diese Vergangenheit zu kennen und zu begreifen.

Diesem Ziel dienen auch unsere Projekte, für die uns diese Auszeichnung verliehen wird: Die Digitalisierung von Dokumenten, die wir und zwei weitere Memorial-Verbände – Rjazan‘ und Krasnojarsk – gesammelt haben, und ihre Veröffentlichung im Internet, ebenso das Virtuelle GULAG-Museum, das unser Wissenschaftliches Zentrum entwickelt hat und durchführt.“ (…)

„Wir freuen uns besonders, von einer so achtbaren und renommierten Organisation wie Index ausgezeichnet zu werden – einer Organisation, die weltweit bekannt ist als eine, die auf allen Kontinenten für Informationsfreiheit kämpft und deren Namen wir in Russland schon zur Zeit der Dissidentenbewegung kannten. Zu ihren Initiatoren gehören Personen wie Michael Scammell und der sowjetische Dissident Pavel Litvinov, mit ihr verbinden sich Namen wie Milan Kundera, Vaclav Havel, Umberto Eco, Tom Stoppard und viele andere.

Diese Auszeichnung ist ein Indiz für den internationalen Konsens, dass authentische und vollständige Information über die Vergangenheit für die Freiheit ebenso wichtig ist wie ebensolche Information über das aktuelle gegenwärtige Geschehen. Historische Dokumente und andere Belege über die Vergangenheit geheim zu halten, den Zugang zu ihnen zu erschweren und diejenigen zu verfolgen, die versuchen, sie allgemein zugänglich zu machen (was in Russland mitunter immer noch vorkommt), ist ebenso unzulässig wie die Geheimhaltung aktueller Informationen über Menschenrechtsverletzungen, die heute stattfinden.“