Basierend auf Unterlagen aus Familienarchiven, die
Memorial überlassen wurden, hat Memorial eine beeindruckende und berührende Ausstellung erarbeitet, die
Einblick in einen Bereich gibt, der sonst relativ geringe Beachtung findet.
Die Ausstellung „Papiny pisma“ (Papas Briefe)
zeigt Briefe Gefangener an ihre in Freiheit verbliebenen Familienangehörigen,
insbesondere an ihre Kinder, zum Teil auch die Briefe der Kinder an sie.
Vor allem handelt es sich um Personen, die zu
Beginn der 30er Jahre auf Grund „politischer“ Artikel befristete
Freiheitsstrafen bekommen hatten und davon überzeugt waren, nach Verbüßung
dieser Strafe freizukommen, sie rechneten fest damit, zu ihrer Familie
zurückkehren zu können. Diese Hoffnungen erwiesen sich in fast allen
vorgestellten Schicksalen als trügerisch, das Jahr 1937 machte sie in der Regel
zunichte, oder in späteren Jahren der Tod im Lager.
Im Mittelpunkt stehen die Briefe von Aleksej
Wangenheim (1881-1937). Memorial wurde kürzlich sein Archiv zur Verfügung
gestellt. Dieses Archiv ist ungewöhnlich reichhaltig – 168 Briefe Wangenheims aus der Haft
an seine Familie sind erhalten. Sie sind der Kern der Ausstellung.
Bereits vor der Revolution war Wangenheim wegen Teilnahme
an studentischen Unruhen verhaftet und zu Verbannung verurteilt worden. Er war
ein bedeutender Naturwissenschaftler, sein Spezialgebiet war die Meteorologie.
1934 wurde er verhaftet und wegen „Spionage“ sowie „Erstellung falscher Wetterprognosen“
zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er kam ins Solovezki-„Lager zur besonderen Verwendung“.
Seine Briefe stammen aus der Zeit in diesem Lager,
in dem er drei Jahre, von 1934-1937, inhaftiert war. Die Haftbedingungen waren
zu dieser Zeit deutlich besser als später, nach 1937. Wangenheim durfte im
Monat drei Briefe schreiben, zum Geburtstag konnte er seiner Tochter auch ein
Paket schicken. Viele Gefangene nutzten diese einzige verbleibende Möglichkeit,
um mit ihrer Familie in möglichst engem Kontakt zu bleiben, an der Erziehung
ihrer Kinder mitzuwirken, ihnen möglichst viel Wissen zu vermitteln, sie an
ihrem Leben teilhaben zu lassen und ihrerseits, soweit möglich, „in der
Familie“ zu leben.